"Lehrermangel dramatisch"
Philologenverband: "Lehrermangel dramatisch"
Bildung, Schule, lernen: Wie soll das funktionieren ohne genügend Lehrer?
24. September 2006
Vor den Folgen einer "weiteren drastischen Verschärfung" des Lehrermangels warnt der Deutsche Philologenverband. Nach seiner Berechnung ist die Zahl der fehlenden Lehrer von 10.000 im Vorjahr auf 14.000 bis 16.000 gestiegen; in diesem Schuljahr werden in jeder Woche etwa eine Million Unterrichtsstunden ersatzlos ausfallen. Zwar sei die Lage in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich, teilt der Verband mit. Gleichwohl kommt er zu dem Schluß, daß sich Deutschlands Schulen insgesamt in "der größten Lehrerversorgungskrise" seit mehr als dreißig Jahren befänden.
Zuletzt hatte am Donnerstag Bundespräsident Horst Köhler deutlich höhere Ausgaben für das deutsche Bildungssystem gefordert. Nur jeder zehnte Euro, den die öffentliche Hand ausgebe, fließe ins Bildungssystem. Damit liege Deutschland unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Zum Zustand des Bildungswesens sagte der Bundespräsident: "Der Befund ist beschämend."
Bildungsqualität nachhaltig gefährdet
Eine "nachhaltige Gefährdung der Bildungsqualität" beanstandet nun auch der Philologenverband, der für den Lehrermangel zwei Gründe nennt. Zum einen rolle die Pensionierungswelle, zum anderen gebe es wegen der Unattraktivität des Berufes zuwenig Lehramtsabsolventen, sagte Verbandsvorsitzender Heinz-Peter Meidinger dieser Zeitung. Nach seiner Ansicht wird sich daran auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren nichts ändern: "Der Lehrermangel wird dramatisch." Als ausgefallenen Unterricht wertet der Verband nach Meidingers Worten jene Stunden, die nicht gegeben werden können, weil es keinen Lehrer dafür gibt und auch keine Vertretung, weil der Lehrer krank oder etwa in Fortbildung ist.
"Geradezu dramatisch bis katastrophal" bezeichnet der Verband die Lage in den Fächern Mathematik, Physik, aber auch Latein und Religion. In diesen Fächern werde mittlerweile in einer Reihe von Bundesländern der im Stundenplan vorgeschriebene Unterricht nicht vollständig oder durch nicht entsprechend ausgebildete Lehrkräfte erteilt. In Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, aber teilweise auch in Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen hat sich der Lehrermangel laut Verband an den weiterführenden Schulen auf fast alle Fächer ausgeweitet. "Besonders dramatisch" sei es an den beruflichen Schulen und an Hauptschulen. Inzwischen suchten aber auch viele Gymnasien, Real- und Grundschulen händeringend neue Lehrer.
Immer mehr Quereinsteiger
Daß Lehrer fehlen, gilt nach Einschätzung des Philologenverbandes für alle westdeutschen Bundesländer. Als ein Beispiel nennt er Nordrhein-Westfalen, wo dies auch eine Einstellungsoffensive mangels geeigneter Bewerber, aber auch wegen der geringen Attraktivität mancher Landesteile nicht habe verhindern können. Daß sich die ostdeutschen Länder dem annähern, beweise Sachsen, wo mindestens 1700 Lehrerstellen mehr nötig wären.
Als eine der signifikantesten Folgen des Lehrermangels beklagt der Verband zudem "die massiv ansteigende Quote an Quereinsteigern" in den Lehrerberuf. Mehr als ein Viertel der Vertretungslehrer hätten keinen Universitätsabschluß mehr. In Bayern gehörten Förster, Diplomübersetzer, Ingenieure und Beamte von aufgelösten Wasserwirtschaftsämtern an fast allen weiterführenden Schulen zum Alltag.
Text: cw. / Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 24.09.2006, Nr. 38 / Seite 1
